Literaturkreis "Frechener Schreibstoff!" empfiehlt


 

 

Maria Sarafidou

 

„Tu es! – Die Welt braucht dich“ von Gerhard Scheucher, Wieser, Wien, 2016,

218 Seiten,

19,80 Euro

 

Der Wiener Autor Gerhard Scheucher plädiert in seinem Buch "Tu es!  - Die Welt braucht dich" für mehr Zivilcourage und soziales Engagement. Anhand von zahlreichen Beispielen beleuchtet er unsere Gesellschaft und stellt dabei fest, dass diese ohne konstruktive Beiträge zahlreicher Menschen nicht überlebensfähig ist. Scheucher ruft in seinem Buch dazu auf, nicht wegzuschauen und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Er nennt eine Reihe von Beispielen aus seinem eigenen Leben, die dem Buch spürbare Lebensnähe geben.

 

„Wir können etwas tun gegen all die kleinen und großen Ungerechtigkeiten unseres Alltags“, betont Scheucher. Es reiche nicht, sich über diese aufzuregen. Er empfiehlt: „Wandeln wir diese Wut doch in positive Energie um und werden wir aktiv. Ändern wir selbst, was wir als ungerecht empfinden.“

 

Der Autor unterstreicht, dass eine positive Zukunftsgestaltung davon abhänge, dass Menschen sich engagieren. Dazu bedürfe es eines Prozesses der Kreativität und gesellschaftlicher Erneuerung, der „Respekt, Tradition und die gesellschaftlichen Werte unserer Eltern- und Großelterngeneration nicht ausschließt.“ Die aktuellen Ereignisse, wo auch immer auf der Welt sie stattfinden, führen einem die Bedeutung dieser Aussage deutlich vor Augen.

 

Das Buch ist in der Zeit kurz nach dem blutigen Terroranschlag auf die Redaktion der französischen Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ entstanden. Vor diesem Hintergrund fordert der Autor dazu auf, sich mit gegen den Strich gebürsteter Kunst auseinanderzusetzen. Sie könne „gesellschaftliche Problemfelder aufzeigen und bewusst machen“ sowie „Ideen formulieren, die Ausgangspunkte für eine fruchtbare Begegnung mit Neuem sein können.“

 

„Tu es! - Die Welt braucht dich“ ist faktenreich und liest sich inspirierend, informativ und spannend. Der Band hat auch hohen Gebrauchswert, denn er beinhaltet ein umfangreiches Verzeichnis von Organisationen und Initiativen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, um die es im Buch geht.

 

Mir machte das Buch Lust darauf, die Ärmel hochzukrempeln und mit anzupacken! Es hat mich inspiriert, mich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Kürzlich wurde ich in den Rat meiner Heimatstadt Frechen gewählt.

 

Die Welt ist im Wandel. Gemeinsame Herausforderungen können wir auch nur gemeinsam meistern. Deshalb empfehle ich: „Tu es! Die Welt braucht dich.“


 

Sabine van de Sandt

 

Unter dem Nordlicht, Indianer aus Kanada erzählen von ihrem Land von Manuel Menrath

Galiani Berlin, 2020

479 Seiten

26 Euro

 

Erzählungen und Berichte kanadischer Indianer

 

Sie leben seit jeher hoch im Norden von Ontario, Turtle Island / Kanada, unterhalb der Hudson Bay. Hinter sich eine lange Zeit in relativer Ungestörtheit auf ihrem Land. Ein zunächst vielversprechender Pelzhandel. Missionierung, Leid und Tragödien. Heute noch Traumatisierung, schwierigste Lebensumstände, jedoch auch Hoffnung und starke Schritte nach vorne.

 

Die indianischen Gemeinden der Cree und Ojibwe leben in entlegenen Reservaten wie viele andere First Nations. Zu den meisten kommt man nur mit dem Kleinflugzeug. Der Autor und Schweizer Historiker Manuel Menrath reiste mehrfach in das Gebiet. Für dieses Buch verbrachte er mehrere Monate bei ihnen und hat Jugendlichen, Frauen und Männern zugehört.

 

Durch ihre Erzählungen und die Erlebnisse des Autors auf seinen Reisen können Leserinnen und Leser in eine fremde Welt eintauchen. Als Jugendliche verbrachte ich zwei Monate bei der Familie meines Onkels in Toronto. Das nähere ländliche Umland habe ich zwar kennengelernt, die entlegene Weite des Landes aber nicht. Daher hat mich Manuel Menraths Buch vor allem mit seinen Geschichten eingefangen. Mit Geschichten und Anekdoten vom Jagen, Trappen und Fischen, von Tipis und Zeremonien, von einem Vielfraß und Moskitos. Von Zerrissenheit. Viele Berichte der Indianer sind schockierend: die Zugriffe auf ihre Lebensweise, auf Kinder, Frauen und Männer. Doch es gibt eine Aufarbeitung, positive Veränderungen im Umgang mit den Anliegen der First Nations und Zuversicht.

 

Das Buch hat mich von der ersten Seite an berührt, denn es gibt den indianischen Gemeinschaften eine vernehmbare Stimme. Es lässt die Vergangenheit sprechen, benennt aktuelle Missstände und zeigt die enormen sozialen Probleme in den Reservaten auf. Es hat mich bedrückt zu lesen, wie schwer das Leben der Gemeinschaften in ihrem Alltag immer noch ist. Doch die Cree und Ojibwe geben nicht auf und kämpfen weiter für ihre Rechte.

 

Die authentischen Erzählungen und Legenden der Cree und Ojibwe haben mich so in ihre Welt hoch im Norden von Ontario hineingezogen, dass sie mir nicht mehr so fremd vorkommt. So, als wäre sie gar nicht weit weg.


 

 

Ruth Forschbach


 

„Bewölkt, mit leichten Niederschlägen – Gesammelte Gedichte“ von Mascha Kaléko

(mit Zeichnungen von Hans Ticha)

Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a. M., 2020

336 Seiten

28 Euro

 

Haben Sie Lust auf zeitlose Lyrik? Lyrik, wie sie schon Joachim Ringelnatz, Kurt Tucholsky oder Hermann Hesse erstaunte und anrührte? Dann habe ich eine Empfehlung für Sie: Mascha Kaléko. Sie war eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts.

 

1907 als Tochter jüdischer Eltern in Galizien geboren, fand sie 1918 in Berlin Herzens-Heimat und ihre Lebensliebe. Dort wurde auch ihr Sohn Steven geboren. Bereits im Alter von 22 Jahren veröffentlichte sie erfolgreich ihre kess geschriebenen Gedichte in Zeitungen. Ihre Verse trafen den Nerv der Zeit. 1930 folgte ihre erste Buchveröffentlichung, es folgten schneller Ruhm und ein hoher Bekanntheitsgrad.

 

Durch die politischen Verhältnisse von 1933 um jegliche weitere Wirkungsmöglichkeit gebracht, emigrierte sie mit Ehemann und Sohn Steven in die USA. 1959 siedelte das Ehepaar nach Jerusalem über, doch Mascha Kaléko wurde in Israel nie heimisch. Ihr einziges Kind Steven starb mit 31 Jahren. Von diesem Schicksalsschlag erholte sich das Ehepaar nicht mehr. Der Tod ihres Ehemannes verstärkte die Einsamkeit von Mascha Kaléko. Sie starb 1974 auf einer Lesereise durch Europa in Zürich.

 

Wie keine andere Lyrikerin versteht es Mascha Kaléko, meine Ohren und Augen für Poesie zu öffnen. Ihr frech-melancholisch Gereimt-Ungereimtes ist alterslos, alltagstauglich geschrieben, voller Witz, Tiefe und Scharfsinn. Ihre zugänglichen in Dur und Moll geschriebenen Gedichte öffnen mir den Blick auf ihre Lebenslinien in Deutschland, USA, Israel und der Schweiz.

 

So gehe ich mit ihren zu Worten gewordenen Gedanken durch ihre Zeiten: Ich schlendere mit der jungen Mascha in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts frech-unverkrampft, euphorisch und hoffnungsvoll durch ihre Heimatstadt Berlin. Verliere sie in der Zwangsisolation. Spüre sie und ihre Familie in New York wieder auf - entfremdet und ruhelos im Exil. Heimatsuchend und heimatfindend bei Mann und Kind. Gehe mit der Entwurzelten nach Jerusalem in eine neue Fremde, schwer gezeichnet und verwundet durch harte Schicksalsschläge.

 

Und dennoch, wundersame fröhlich unsentimentale Töne durchbrechen die Schwere ihrer späten Gedichte, auch die aus denen der letzten, ihrer einsamsten Jahre. Sie setzen ihrem Leben und Schaffen ein kraftvolles Denkmal. - Danke Mascha!


 

Axel Walbröhl

 

 

„Tschick“ von Wolfgang Herrndorf

Rowohlt, Reinbek, 2010

256 Seiten, 10 Euro

 

 

„Tschick“ ist ein auch für ältere Semester lesbarer und unterhaltsamer Jugendroman über viele Facetten des Erwachsenwerdens. Er handelt von Versuchen, aus den Normen des Elternhauses auszubrechen, Grenzen auszuloten, von ersten Lieben und der Suche nach dem eigenen Kompass. Wolfgang Herrndorf erzählt in dieser auch als Roadmovie verfilmten Geschichte von den Ferienabteuern zweier Jugendlicher, durch die sie vieles über sich und darüber erfahren, was die Zukunft für sie bereithalten könnte – Positives wie Bedrohliches.

 

Als die Mutter des Ich-Erzählers Mike sich in einer Entziehungskur und sein Vater sich auf einer vermeintlichen Geschäftsreise mit seiner Sekretärin befindet, taucht Tschick in seinem Leben auf. Aus dem zunächst distanzierten Verhältnis zu dem neuen Klassenkameraden, der aus einer sozial eher unteren Schicht stammt, entwickelt sich trotz aller Unterschiede dennoch eine Freundschaft. Als Tschick an einem Ferientag plötzlich mit einem geknackten Lada vor Mikes Tür steht, brechen die beiden unvermittelt zu einer Tour „in die Walachei“ auf, ohne zu wissen, wo diese liegt. Dabei erfahren sie im wahrsten Sinne des Wortes viel über Deutschland.

 

Das liegt insbesondere an den Menschen, denen sie begegnen. Da gibt es einerseits den elitären „Adel auf dem Radel“, andererseits Isa, das Mädchen vom Schrottplatz. Als dieses sie auf der Reise ein Stück begleitet und bei Tschick auf Ablehnung stößt, verliebt Mike sich in Isa, die die Reisenden aber bald wieder verlässt. Nachdem der Zufall sie an einem Abend zum Essen bei einer grün-konservativen Familie verschlagen hat, bekommen sie tags darauf wegen fehlender Fahrerlaubnis Ärger mit der Polizei. Die beiden Freunde verlieren sich kurzzeitig aus den Augen, als Tschick mit dem geklauten Lada flieht und Mike sich das Fahrrad des Dorfpolizisten schnappt. Doch ohne jede Absprache finden sie schon bald wieder zusammen.

 

Aber Tschick bleibt auf der Flucht. Mike kehrt zu seiner Mutter, die in der Therapie viel über sich selbst gelernt hat, zurück. Doch sein zwischenzeitlicher Ausbruch aus der konventionellen Enge hat auch seinen Horizont erweitert.

 

Ein Roman, der trotz aller Wirrungen zeigt, wie wichtig eigene (Grenz-)Erfahrungen mit dem Blick auf all das sind, was im Leben noch kommen mag.


 

 

Angelika Schneeberger

 

„Baba Dunjas letzte Liebe“ von Alina Bronsky

Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2017

160 Seiten, 12,90 Euro

 

„Lies das mal“, mit diesen Worten drückt mir eine Freundin ein dünnes Buch in die Hand. „Wird dir bestimmt gefallen.“ Beim Blick auf den Einband bin ich eher skeptisch. Er zeigt einen Birkenstamm, grafisch schwarz-weiß, daneben eine jüngere Frau mit Kopftuch, gekleidet in Bluse und Schürze, alles auf hellblauem Grund, der Buchtitel füllt den Rest des Covers aus. Wirkt sehr altmodisch auf mich. „Es handelt von einer Frau, die nach Tschernobyl zurückgekehrt ist. Aber nicht so wie du vielleicht denkst.“

 

Ich erwarte tatsächlich ein Buch, das sich mit den Verwerfungen in einem radioaktiv verseuchten Ort beschäftigt. So ist es auch, aber doch in ganz unerwarteter Art und Weise. Baba Dunja kehrt in ihr Dorf zurück, das nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl von seinen Bewohnern verlassen werden musste.

 

Es gibt noch eine weitere Handvoll Ehemaliger, die sich wieder einfinden. Hier ist das Leben geprägt von Abgeschiedenheit und Stille, von einer wieder erwachten üppigen Natur. Besucher wagen sich normalerweise eher nicht in den Ort.

 

Baba Dunja ist bereits eine alte Frau, aber erfinderisch darin, ihrem Leben Versorgung und Struktur zu geben. Wasser liefert ein alter Brunnen, Gemüse und Kräuter der Garten. Ab und zu kann ein Huhn für mehrere Mahlzeiten zubereitet werden. Dabei wird untereinander geteilt.

 

Die übrigen Dorfbewohner entpuppen sich als eigenwillig, bisweilen mit skurrilen Ideen. Der Ton untereinander ist oft rau. Aber man ist solidarisch, auch, wenn mal eine fremde Leiche heimlich entsorgt werden muss. Baba Dunja schreibt Briefe an ihre Tochter in Deutschland und an die Enkelin, die sie noch nie gesehen hat. Einladungen nach Deutschland nimmt sie nie an. Sie hat ihr Zuhause in Tschernowo, das sie liebt und schätzt.

 

Die Geschichte wird liebevoll und anrührend erzählt, mit komischen und heiteren Überlegungen. Aus den Gedankengängen der Hauptfigur und den Dialogen spricht eine besondere Mitmenschlichkeit.

 

Im Laden hätte ich wohl nicht zu dem Buch gegriffen - siehe Umschlaggestaltung. Umso mehr hat es mich bereichert, es doch in die Hand genommen und gelesen zu haben.


 

Maria Segschneider

 

„Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ von Joachim Meyerhoff

Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2015

464 Seiten, 12 Euro

 

 

In seinem sehr empfehlenswerten Roman malt sich der zwanzigjährige Erzähler aus gutem Elternhaus nach einem Austauschjahr in Amerika voller Vorfreude seinen Zivildienst aus. Besonders die Nächte im Schwesternwohnheim beflügeln seine Phantasie. Doch es kommt anders. Aus einer Laune heraus hat er sich an der Schauspielschule in München beworben und besteht, trotz schlechter Vorbereitung, die Aufnahmeprüfung. Er gerät, selbst höchst erstaunt, in die engere Wahl und wird angenommen, trotz Zweifeln der Jury. Diese potenzieren sich mit seinen eigenen Bedenken. Trotz gemischter Gefühle fiebert er dem Start entgegen.

 

Hier schöpft der 1967 in Homburg an der Saar geborene Autor, der seit 2005 Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater ist, aus seinen eigenen Erfahrungen und beschreibt seinen ersten Tag an der Schauspielschule geradezu schillernd. Beginnend mit dem Blickduell am Morgen gipfelt er in der menschlichen Maschine, die alle Schauspielschüler ratternd, stampfend, pfeifend, sich immer schneller bewegend, darstellen sollen. „Das war ein großartiges, wildes Ungetüm, was ihr da gebaut habt“, werden er und seine Mitschüler gelobt. Doch über Sprecherziehung, Interaktion und Aikido hinaus bleibt der groß gewachsene, kahlgeschorene Protagonist abseits der Gruppe und erfüllt von Selbstzweifeln. „So habe ich gleich in meiner ersten Aufführung das getan, was eine meiner ganz großen Stärken werden sollte: mich auf offener Bühne verstecken.“

 

Erst in ein langes, enges Paillettenkleid gewandet mit hohen Schuhen und einer Federboa findet er bei einer Kostümversteigerung am Tag der offenen Tür zu sich. Als Leser atmen wir hörbar durch. Ebenso wie der Erzähler: „Ich hatte einen ganz anderen Radius. Mein Kopf schwang gut geölt ohne Gelenkblockaden nach links und rechts, ich fühlte mich elegant und würdevoll.“

 

An einem gemeinsam mit der Großmutter geplanten Filmprojekt versagt er jedoch kläglich und kollabiert unter Schminke und Perücke.

Zuflucht findet er von Beginn an im hoch herrschaftlichen Haus seiner Großeltern in Nymphenburg. Seine Großmutter war selbst Schauspielerin, eine wahre Diva, die sogar alltägliche Szenen zu etwas Besonderem zu stilisieren wusste. Sie spielt sich selbst. Immer, in einer ständigen Inszenierung. Und diese ereignet sich in einer ganz eigenen, abgeschotteten Welt, fernab der Realität. Aber sie funktioniert, Tag für Tag.

 

Ihr Mann, ein emeritierter Professor der Philosphie, schwerhörig und ordnungsliebend, der peinlich genau alles dokumentiert, katalogisiert und abheftet, liebt sie in einer unbeschreiblichen, hinreißenden, sie nahezu vergötternden Art, Abhängigkeit und Bewunderung, wenn sie sagt: „ Mooooahhh…“ und dann, nach einer langen, spannungsgeladenen Pause, „der Brie ist ja ein Gedicht heute Abend!“

 

Der Tagesablauf der beiden ist streng strukturiert, beinahe ritualisiert. Zu festen Uhrzeiten und mit flüssigen Freuden. Der Morgen beginnt mit Champagner, mittags folgt Wein, ein Höhepunkt des Tagesablaufes ist der Punkt 18 Uhr auf die Sekunde genau servierte Whisky. Es gibt Rotwein und Coitreau, selbst die vom Apotheker gemixten Gurgellösungen bestehen aus hochprozentigem Enzian, wie der Enkel herausfindet. Die Fotoalben aller Urlaube in immer demselben Domizil über viele Jahre hinweg zeigen nahezu identische Aufnahmen. Die Orte bleiben, der Hosenanzug und die Position des Fotografen ebenso.

 

Alterslos raucht und trinkt die Diva, genügt sich selbst, rezitiert sehr zur Freude ihrer beiden Bewunderer spontan aus Effi Briest. Nennt ihren Enkel „Lieberling“ und ihren Mann, der eigentlich Hermann heißt, „Fridolin“. Einen vermissten Ring findet sie nach einer lächerlich geringen Spende für den Heiligen Antonius mit einer Sicherheit wieder, die die Leser verwirrt den Kopf schütteln lässt.

 

Im ganzen Haus darf nichts verstellt oder an einen anderen Ort verrückt werden, auch nicht im rosa Zimmer des werdenden Schauspielers. Alles hat über Jahrzehnte an seinem Platz zu bleiben. Bizarr erscheint dieses fest gezurrte, Sicherheit schenkende, aber der Realität ferne Dasein. Der Protagonist kommentiert: „Und so begann ich denn ein neues Leben: Als erwachsener Enkel im Haus meiner Großeltern und als staunender Anfänger auf der Schauspielschule.“

 

Dieser Spagat, diese Zerreißprobe des jungen Mannes zwischen den Anforderungen während seiner Ausbildung werden abgefedert in der „allabendliche(n), butterweiche(n) Landung im Großelternhaus. Wie sehr ich das brauchte!“

 

Joachim Meyerhoffs Sprache ist ein Genuss in einem Fünf-Gänge-Menü, mit dem erfrischenden Zitronensorbet mittendrin. Als Leser sitzt man mit den edlen Großeltern, wohl gekleidet und frisiert mitten im Wohnzimmer, alles ist Dunhill-menthol verqualmt, der Whisky steht dort, natürlich in einer Karaffe mit den Gläsern. Chanté! Auf das Leben!